Warum es bei uns keine Überstunden gibt.
Als ich mich Anfang 1995 entschloss, meinen schlecht bezahlten Job als Junior Art Direktorin in einer renommierten Berliner Werbeagentur zu kündigen, hatte ich offen gestanden keine konkreten Pläne. Ich wusste nur eines: ich wollte nicht mehr 70 Stunden in der Woche arbeiten und dafür - wenn's gut lief - einen kalten Händedruck bekommen und - wenn's schlecht lief - auch noch Ärger in Form einer schriftlichen Abmahnung für eine 15 Minuten überzogene Mittagspause (nachdem ich ein paar Tage zuvor eine ganze Nacht durchgearbeitet hatte). So hatte ich mir mein Berufsleben nicht vorgestellt.
Von da an war ich nie wieder angestellt — mit Ausnahme als Geschäftsführerin in meinen eigenen Firmen. Und auch wenn ich in all den Jahren meiner Selbstständigkeit natürlich viele, viele Stunden außerhalb der regulären Arbeitszeit gearbeitet habe, ist dies eine andere Sache. Ich mache das für mich und ich habe eine Wahl.
Aber ich habe es noch nie zugelassen, dass meine Mitarbeiter abends oder gar nachts für mich arbeiten. Seit 2001 habe ich Personalverantwortung für Mitarbeiter und Auszubildende und achte pingeligst darauf, dass keine Überstunden anfallen.
Ich schließe mich da voll und ganz Alexander Krapp (Gründer und CEO der Agentur Soulsurf) an: „Überstunden sind ein Zeichen von Missmanagement.“ In der Praxis gibt es zwei Gründe für den Überstunden-GAU: Entweder stimmen die internen Workflows nicht oder die Personalplanung deckt sich nicht mit der Kundenplanung. Im ersten Fall regiert das Chaos, im zweiten die Gier. Im Ergebnis läuft es auf dasselbe hinaus.
Kein Chef sollte es sich leisten, seine Mitarbeiter wegen schlechter Planung und fehlender Strategie zu verschleißen – und das nicht nur wegen des herrschenden Fachkräftemangels, sondern vor allem aus Respekt vor den Menschen und dem eigenen Anspruch, die Managementrolle ernst zu nehmen.
Die Stundenkonten meiner Angestellten beweisen es: die Mehrarbeit pro Woche liegt niemals über 2 Stunden und aufs Jahr gerechnet unter 10 – das macht einen Durchschnitt von ca. 15 Minuten pro Woche.
Und darauf bin ich stolz.